Der Hund, der der Stimme seines Herrn lauscht, war kein Fox Terrier
So manche Nachmittage kehrte ich bei meinem Großvater ein, der, wie ich Ihnen bereits
unzählige Male erzählt habe, ein großer Hundefreund war. Ich sehe ihn noch vor mir,
es war ein Ritual, besonders im Winter. Der Nachmittagskaffee wurde im Raucherzimmer
serviert, Großvater trug einen kurzen, wattierten roten Hausmantel mit schwarzem
Samtrevers, schwarzrote Pantoffeln, ein Halstuch aus Kaschmir. Aus seiner Brusttasche
zog er eine goldene Nickelbrille mit ausklappbaren Bügeln, die ich heute noch habe.
Dann wählte er eine Schellackplatte mit Melodien von früher aus, die auf einem Grammophon
mit Kurbelantrieb abgespielt wurde, begleitet von diesem ewig knirschenden Schleifen
… wir hörten Louis Armstrong „When You’re Smiling“ und andere Lieder wie Orchester-Arrangements
von Xavier Cugat. Diese Nachmittage endeten immer mit einem Brandy aus dem Hause
Larios und einer guten Zigarre.
Wir unterhielten uns über viele Dinge, über mein Studium, das Leben, die alten Zeiten,
über Musik und vor allem über Hunde.
Bei den Schallplatten, von denen ich einige aufbewahrt habe - das Grammophon beglückte
bei der Erbteilung einen anderen - gab es auch einzelne mit dem Hund, der der Stimme
seines Herrn lauscht. Großvater behauptete immer, es sei ein Jack Russel Terrier,
der der Stimme seines toten Herrn lauschte, andere meinten, es sei ein Fox Terrier,
aber wer hatte nun Recht? Ich fand, er hatte ein seltsames Gesichtchen, wenn er
das sein sollte, was man von ihm sagte …
Wir alle kennen die Abbildung auf den Schallplatten mit dem Hund, der der Stimme
seines Herrn lauscht, weil er selbst in Filmen der damaligen Zeit eine mal mehr,
mal weniger große Rolle spielte. „Nipper“, so hieß der kleine schwarzweiße Hund.
Nipper wurde 1884 in Bristol, England geboren. Er war eine Mischung aus einem Bull
Terrier und einem Fox Terrier und gehörte Mark Henry Barraud. Nipper heißt
so viel
wie „Kneifer“, weil er stets versuchte, die Besucher in die Hacken zu kneifen und
im Richmond Park in die Luft schnappend hinter den Eichhörnchen, Tauben, Kaninchen
und Fasanen herjagte. Als Mark Barraud 1887 starb, erbten seine beiden Brüder Phillip
und Francis den Hund, der fortan bei Francis in Liverpool lebte. Phillip interessiert
uns für diese Geschichte nicht weiter, da er kein besonderer Hundefreund war, im
Gegensatz zu Francis.
Francis hatte ein Fotostudio, war Maler und Mitglied der Royal Academy of Arts.
Von seinem verstorbenen Bruder erbte er auch einen Phonographen sowie Aufnahmen
mit Marks Stimme.
Jedes Mal, wenn Francis, in wehmütiger Erinnerung an seinen Bruder, die Aufnahme
mit Marks Stimme auflegte, staunte er über das Interesse, das Nipper zeigte, wenn
er den Phonographen hörte (Phonographen können im Gegensatz zu Grammophonen aufnehmen).
Nipper setzte sich vor den Schalltrichter, leckte und beschnüffelte ihn aufgeregt,
hörte, das Köpfchen schief gelegt, mit großer Aufmerksamkeit zu und schaute hinter
dem Phonographen nach, in der vergeblichen Hoffnung, dort seinen verstorbenen Herrn
zu finden.
Dank seines künstlerischen Genies und ob der Hingabe des Hundes für seinen verstorbenen
Herrn machte Francis 1895 ein Foto von Nipper in der Haltung, in der wir ihn alle
kennen: der Stimme seines Herrn lauschend, die aus dem Phonographen kam. Nipper
starb im September mit gut elf Jahren.
Francis, der voller Bewunderung für die Treue des Tieres war, hatte die Idee, dieses
Foto in einem Ölgemälde festzuhalten. 1898 wurde das Gemälde fertig und am 11. Februar
1899 unter dem Titel „Hund schaut in den Trichter eines Phonographen“ registriert.
Barraud beschloss, den Namen des Gemäldes in "Die Stimme seines Herrn“ (His Master’s
Voice) umzuändern und wollte es in der Royal Academy ausstellen. Diese aber lehnte
das Bild, auch bei späteren Anträgen, mit der Begründung ab, dass niemand wisse,
was der Hund da mache. Zunächst hatte er das Gemälde nicht verkaufen wollen, aber
als er in finanzielle Nöte geriet, bot er es der Edison Bell Company, der Erfinderin
des Phonographen an, aber der Eigentümer James E. Hough sagte: „Hunde hören keinen
Phonographen zu“.
Francis hängte das Bild gut sichtbar in seinem Atelier auf, ließ indessen in seinen
Bemühungen nicht nach, das Bild zu verkaufen, denn für ihn hatte es eine magische
Ausstrahlung. Damit es einen Käufer finde, versuchte er, das Gemälde zu verbessern,
und im Sommer 1899 wurde er bei der neuen Grammophon-Gesellschaft „Gramophone and
Typewriter Company (G & T)“ mit einem Foto seines Bildes vorstellig und fragte,
ob sie ihm ein Grammophon ausleihen könnten, damit er sein Gemälde verbessern könne.
In einem Artikel für die Zeitschrift The Strand schrieb der Maler: „Der Direktor
Barry Owen fragte mich, ob das Bild zu kaufen sei und ob ich eines ihrer Geräte,
ein Grammophon, detailgerecht darstellen könne. Ich gab ihm zur Antwort, dass das
Gemälde zu kaufen sei und ich entsprechende Änderungen vornehmen könne, wenn er
mir ein Instrument mitgebe, damit ich es abmalen könne.“ Der Betrag über 100 englische
Pfund besiegelte am 4. Oktober 1899 den Vertrag.
Dieses Bild erschien erstmalig in einer Werbung im Jahre 1900. Am 16. Juli 1900
ließ Berliner das berühmte Logo seiner Firma eintragen: Ein netter kleiner Hund,
den viele für einen Fox Terrier oder einen Jack Russell halten, lauscht entzückt
einem Grammophon, dazu der Slogan „His Master's Voice“. Dieses Logo sollten später
auch die Plattenfirmen RCA RECORDS und RCA VICTOR aufgreifen.
Der Erfinder des Grammophons Emile Berliner forderte, dass die nordamerikanischen
Rechte an dem Bild an die Victor Talking Machine Company gingen. Victor nutzte das
Bild noch intensiver als ihre britische Tochtergesellschaft, und ab 1902 zeigten
alle Schallplatten von Victor das Bild des Hundes mit dem Grammophon von Francis
Barrauds. Die Werbeanzeigen aus jener Zeit legten den Käufern von Schallplatten
nahe „nach dem Hund zu suchen“.
Erst ab 1907 bildete die britische Tochtergesellschaft „Die Stimme des Herrn“ auf
ihren Schallplatten ab. Das Gemälde, der Titel und sonstige Rechte wurden aufgrund
des großen Erfolgs 1910 als Marke eingetragen.
Nipper brachte Francis Barraud großes Glück. Der Maler fertigte 24 Kopien von dem
Originalbild an und wurde zu einem berühmten und angesehenen Maler und Fotografen.
Er starb 1924 auf dem Höhepunkt seines Ruhms.
Das Ölgemälde „Die Stimme seines Herrn“ befindet sich im Hauptsitz der EMI Music
am Gloucester Place. In entsprechendem Licht betrachtet kann man immer noch den
ursprünglichen Phonographen unter der zweiten Farbschicht erkennen.
Nipper wurde in Kingston, London, in einem Park beerdigt, in dem zur damaligen Zeit
mehrere Magnolienbäume standen. Mit den Jahren verschwand der Park und heute steht
dort ein Gebäude der Lloyds Bank. Am Haupteingang erinnert eine Bronzeplatte an
die Grabstätte des musikalischsten Mischlings der Welt.
Es gab auch einen Versuch von EMI, an Nippers Geburtshaus in Bristol eine Gedenktafel
anbringen zu lassen. Der Eigentümer aber lehnte dies ab, da er ein gutes Geschäft
witterte, und forderte die Firma auf, das Haus doch zu kaufen, wenn sie dort eine
Tafel anbringen wollte.
Die so geschaffene Marke zählte zu den 10 wichtigsten Marken des 20. Jahrhundert.
Es gibt eine schöne Anekdote, die in diesem Zusammenhang nicht fehlen darf: 1980
hatten die HMV-Läden, die es auch heute noch in Großbritannien gibt, einen kleinen
Hund gefunden, der Nipper ähnlich sah und den sie Toby nannten. Sie setzten ihn
bei Eröffnungen und Vorstellungen von neuen Schallplatten für die Ladenkette ein
… aber kalten Kaffee sollte man nicht wieder aufwärmen … Toby war launisch und sein
streitsüchtiger Charakterzug erschwerte seine Auftritte erheblich. Er war ein richtiger
Terrier, und die HMV-Kette ließ ihn in der Obhut eines Mitarbeiters, der ihn nicht
richtig erziehen konnte. 1984 wurde ihm wegen seiner schlechten Manieren sogar die
Teilnahme an der Crufts-Hundeshow verwehrt.
Und das war die Geschichte eines Zaubermischlings, der dem Maler, der ihn bei sich
aufnahm, seinen Traum nach Ruhm erfüllte.
Rafael Fernández de Zafra